Epilepsie-Klassifikationen und Symptome

Definition


Epilepsie (ICD-10 G40) ist der Oberbegriff für zerebrale Funktionsausfälle aufgrund einer neuronalen Netzstörung. Leitsymptom sind wiederholte Anfälle. Definiert ist ein epileptischer Anfall als ein vorübergehendes Auftreten von subjektiven Zeichen und/oder objektivierbaren Symptomen aufgrund einer pathologisch exzessiven und/oder synchronisierten neuronalen Aktivität im Gehirn. Abhängig von Ort und Ausprägung der Anfälle variiert die Phänomenologie beträchtlich. So gibt es nur wenige Sekunden dauernde motorische und sensible Episoden, Absencen, Abläufe mit Zuckungen einer Extremität, komplexe Bewegungs- und Bewusstseinsphänomene sowie die klassischen tonisch-klonischen Anfälle.
Daneben existieren die sogenannten Epilepsie-Syndrome, zum Beispiel das Lennox-Gastaut- und Dravet-Syndrom. Die Diagnose wird nach den Vorgaben der International League Against Epilepsy (ILAE) anhand des Anfallgeschehens und durch Zusatzbefunde, die auf eine Prädisposition für weitere epileptische Anfälle hindeuten – zum Beispiel epilepsietypische Potenziale im Elektroenzephalogramm (EEG) und/oder zum Anfallsereignis passende strukturelle Läsionen in der Bildgebung – erhoben. Die Behandlung basiert nahezu immer auf einer medikamentösen Therapie, ggf. begleitet von nicht pharmakologischen Maßnahmen wie ketogener Diät und Psychotherapie. Mitunter kann eine operative Intervention indiziert sein [1–3].

 

Epidemiologie
Epilepsien gehören zu den häufigsten neurologischen Erkrankungen. Die Prävalenz in Industrieländern wird mit 0,5–0,9 Prozent angegeben. Die Neuerkrankungsrate liegt bei 40–70/100.000 Einwohnern pro Jahr. Die jährliche kumulative Inzidenz aller Epilepsien beträgt über alle Altersgruppen hinweg 67,77/100.000 Personen.
Hier sind jedoch zwei Spitzen zu verzeichnen: eine in den ersten fünf Lebensjahren (Early-onset-Epilepsie) und eine weitere jenseits des 50. Lebensjahrs (Late-onset-Epilepsie). Im Alter wird die höchste altersadjustierte Inzidenz von Epilepsien gemessen. Bei den über 65-Jährigen liegt die Inzidenz bei 90–150/100.000 Personen. Ebenso nimmt die Prävalenz mit dem Alter zu und steigt auf 1–2 Prozent bei den über 85-Jährigen. Der Häufigkeitsgipfel in der letzten Lebensdekade ist insbesondere mit dem Auftreten von Epilepsien nach Schlaganfällen und Hirntumoren sowie bei Demenzerkrankungen assoziiert. Bei den Demenzen haben Formen wie die Early-onset-Alzheimer-Erkrankung und die vaskuläre Demenz das größte Risiko, eine Epilepsie zu entwickeln [1,4–6].
Schätzungsweise erleiden circa 5 Prozent der Bevölkerung mindestens einmal im Leben einen Krampfanfall, ohne dass sich daraus eine aktive Epilepsie entwickelt. Bei Kindern und Jugendlichen kann ein solcher Anfall bei etwa 4–10 Prozent beobachtet werden. Dazu gehören Fieberkrämpfe, akut symptomatische Anfälle oder unprovozierte epileptische Anfälle. Mit 20 Jahren wird aber nur bei 1 Prozent die Erkrankung Epilepsie, das heißt sich wiederholende epileptische Anfälle, diagnostiziert. Die Hälfte der Epilepsie-Erkrankungen beginnt vor dem 10. Lebensjahr, 2/3 vor dem 20. Lebensjahr [7].

 


Klassifikation:
Aus pragmatischen Gründen teilte man Epilepsien lange Zeit in symptomatische, idiopathische und kryptogene Formen ein. 2017 überarbeitete die internationale Liga gegen Epilepsie ihre Klassifikation und Terminologie. Die aktualisierte ILAE- Klassifikation besitzt nunmehr eine dreistufige Grundstruktur [2,8]:


•    Zunächst soll der Anfallstyp bzw. die Anfallsform bestimmt werden. Hier unterscheidet man zwischen                                generalisiertem, fokalem und unklarem Beginn. Innerhalb der generalisierten Epilepsien wurde die Untergruppe der        idiopathisch generalisierten Epilepsien wieder eingeführt. Dazu zählen Absence-Epilepsien des Kindes- und                    Jugendalters, juvenile myoklonische Epilepsien und Epilepsieformen mit ausschließlich generalisierten tonisch-                klonischen Anfällen.
•    Die nächste Stufe betrifft die Art der Epilepsie. Unterschieden werden fokale, generalisierte, kombiniert fokale und          generalisierte sowie unklassifizierte Epilepsien.
•    Stufe drei umfasst Epilepsiesyndrome, die durch typische Befundkonstellationen definiert sind.


Ursachen:
Epilepsien und die damit verbundenen Anfälle sind auf eine Vielzahl von Ursachen zurückzuführen. Aktuell werden folgende Ätiologien unterschieden:

Strukturelle Ursachen
Eine strukturelle Epilepsie ist mit umschriebenen pathologischen Hirnveränderungen assoziiert. Diese können erworben oder genetisch bedingt sein. Epileptogene Läsionen sind beispielsweise Hirntumore und Hirninfarkte, Kontusionsdefekte, vaskuläre Malformationen, Enzephalozelen, fokale kortikale Dysplasien, Polymikrogyrie der kortikalen Neurone, hypothalamische Hamartome oder eine Hippocampussklerose. Ebenso kann eine perinatale Hirnschädigung, oft infolge von Sauerstoffmangel während des Geburtsvorgangs, eine Epilepsie verursachen [2,8].

 

Genetische Ursachen:
In den letzten Jahren wurden mehrere Hundert Gene und Gen-Veränderungen identifiziert, die vermutlich oder sicher eine Epilepsie (mit)verursachen.
Die Mehrzahl der Fälle der idiopathischen generalisierten Epilepsien (IGE) sind polygenetische Erkrankungen. Das Erkrankungsrisiko hängt von verschiedenen genetischen Suszeptibilitätsfaktoren und Umwelteinflüssen ab. Zu den IGE gehören die kindliche und die juvenile Absence-Epilepsie (CAE und JAE), die juvenile myoklonische Epilepsie und die Epilepsieformen mit ausschließlich generalisierten tonisch-klonischen Anfällen.
Sehr viel seltener ist nur ein Gen betroffen (zum Beispiel Ionenkanal-Gene oder Neurotransmitter assoziierte Gene). Die Mutation kann vererbt werden oder de novo auftreten. Monogenetische Epilepsien weisen eine beachtliche phänotypische und genotypische Heterogenität auf. Beispielhaft sind das im ersten Lebensjahr beginnende Dravet-Syndrom, bei dem mehr als 80 Prozent der Patienten Mutationen im SCN1A-Gen aufweisen, und das sich in den ersten Lebenstagen manifestierende Ohtahara-Syndrom mit möglichen Mutationen im Gen STXBP1, seltener auch ARX.
Ferner können nicht läsionelle fokale Epilepsien (non-acquired focal epilepsy, NAFE) in Teilen genetisch determiniert sein (speziell DEPDC5-Mutationen). So gibt es eine Reihe familiärer fokaler Epilepsiesyndrome, die klassischen Mendel’schen Erbgängen folgen – etwa die autosomal-dominante nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE) oder die autosomal-dominante laterale Temporallappenepilepsie (ADLTE) [2,8,9].


Infektiöse Ursachen:
Infektionen sind die weltweit häufigste Ursache von Epilepsie. Eine infektiöse Ätiologie bezieht sich auf Patienten mit Epilepsie und nicht auf Patienten, die Anfälle im Verlauf einer akuten Infektion erleiden. Infektiöse Ursachen können regional variieren; typische Beispiele sind Neurozystizerkose, Tuberkulose, HIV, zerebrale Malaria, subakute sklerosierende Panenzephalitis, zerebrale Toxoplasmose und kongenitale Infektionen – etwa durch das Zika- oder Zytomegalie-Virus. Zudem sind post-infektiöse Entwicklungen einer Epilepsie möglich, beispielsweise nach einer viralen Enzephalitis [2,8].

Metabolische Ursachen
Eine metabolisch verursachte Epilepsie ist direkte Folge einer Stoffwechselstörung, die epileptische Anfälle als Kernsymptomatik aufweist. Es wird angenommen, dass die meisten metabolisch bedingten Epilepsien einen genetischen Hintergrund haben und nur selten erworben sind.
Mit einer Epilepsie assoziierte Erkrankungen/Situationen sind u.a. [2,8]:
•    Hypoparathyreoidismus
•    Hämochromatose
•    Porphyrie
•    Störungen des Aminosäurestoffwechsels
•    Pyridoxin-abhängige Epilepsie (PDE)
•    Hyponatriämie beim Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH)
•    Urämie
•    Hyper-/Hypoglykämie
•    zerebraler Folsäuremangel

Immunologische Ursachen:
Eine immunologische Epilepsie ist auf eine autoimmun vermittelte Entzündung des ZNS zurückzuführen. Hierzu gehören vor allem die Kalium-Kanal-Antikörper (LGI1)-bedingte limbische Enzephalitis und die NMDA-Rezeptor-Antikörper assoziierte Enzephalitis (NMDA = N-Methyl-D-Aspartat) [2][8].

Unbekannte Ursachen
Neben den zuverlässig differenzierbaren Epilepsien gibt es Formen, deren Ursache (noch) nicht bekannt ist. Eine spezifischere Diagnose als die elektro-klinische Einordnung, etwa als Frontallappenepilepsie, ist bei diesen Patienten nicht möglich. Mit der verbesserten bildgebenden Diagnostik – speziell der hochauflösenden Magnetresonanztomografie (MRT) – ist zu vermuten, dass der Anteil ungeklärter Ätiologien zukünftig weiter sinkt [2,8,10].

 

Pathogenese:
Bislang sind die neurobiologischen Zusammenhänge der Epileptogenese nicht bis ins letzte Detail verstanden. Man weiß allerdings, dass eine neuronale intra- und transzelluläre Übererregung (Hyperexzitabilität) einzelner Nervenzellen, Fehlkoordinationen von Erregung und Hemmung neuronaler Zellverbände, veränderte Zellmembraneigenschaften und eine fehlerhafte Erregungsübertragung synaptischer Netzwerke zu einer abnormen exzessiven neuronalen Entladung führen.
Die dem epileptischen Anfall zugrunde liegenden paroxysmalen Depolarisationsstörungen sind meist auf ein Ungleichgewicht bzw. einer fehlerhaften Verteilung von exzitatorischen und inhibitorischen Neurotransmitterwirkungen zurückzuführen. Dabei spielen die Aminosäuren Glutamat und Aspartat als erregende Neurotransmitter sowie Gamma-Aminobuttersäure (GABA) als hemmende Signalsubstanz eine entscheidende Rolle. Zudem können Neurotransmitter-Synthesestörungen und ein gesteigerter Abbau oder eine Rezeptor-Blockade von GABA-Rezeptoren anfallsauslösend wirken.
Pathologische Veränderungen an spannungsabhängigen Ionenkanälen (Kalium, Natrium, Calcium) beeinflussen ebenfalls die neuronale Erregbarkeit. Für einige dieser Mechanismen wurden inzwischen genetische Ursachen nachgewiesen, zum Beispiel der Defekt am SCN1A-Gen beim Dravet-Syndrom (kodiert für die α-Untereinheit des Natriumkanals) oder ein Gendefekt auf Chromosom 5 bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie, der eine Störung am GABA(a)-Rezeptor initiiert [1,10].

Paroxysmale Depolarisationsshift (PDS)
Nach international gängiger Lehrmeinung ist der sogenannte paroxysmale Depolarisationsshift (PDS) als gemeinsamer Nenner der fokalen Epileptogenese anzusehen. Elektrophysiologisch handelt es sich um eine Serie hochfrequenter Aktionspotenziale, die durch eine sich anschließende Hyperpolarisation beendet wird. Auf zellulärer Ebene korreliert der PDS mit interiktalen eleptiformen Signalen (sogenannte Spikes) im EEG. Während eines epileptischen Anfalls wird der PDS in eine anhaltende Depolarisation der Zellen überführt. Eine iktale epileptische Aktivität ist durch eine verminderte, sich der PDS anschließenden Hyperpolarisation erklärbar [10].

 

Symptome:
Die Symptome der unterschiedlichen Epilepsieformen variieren stark. Das klinische Bild richtet sich nach der Lokalisation und dem Ausmaß der neuronalen Fehlerregung sowie nach der Art des Anfallgeschehens. Möglich sind Parästhesien auf der Haut (Parietallappenanfälle), orale Automatismen wie Schmatzen und Kauen (Temporallappenanfälle), visuelle Halluzinationen (Okzipitallappenanfälle) oder komplexe Anfallsbewegungen (frontale Anfälle) und Mischbilder.
Die ILAE unterscheidet grundsätzlich zwischen Anfällen mit fokaler, generalisierter oder unbekannter Ausbreitung. Darüber hinaus werden diese in Formen mit motorischen und nicht-motorischen Bewegungsstörungen eingeteilt. Bei fokal beginnenden Anfällen wird zusätzlich unterschieden, ob der Patient bei Bewusstsein ist oder nicht. Fokale und generalisierte Anfälle können einzeln (inklusive mehrerer fokaler oder generalisierter Ereignisse) oder zusammen auftreten [1,3,10].


Anfälle mit fokalem Beginn:
Epileptische Anfälle mit fokalem Beginn haben ihren Ursprung in einem begrenzten Neuronensystem innerhalb einer Hemisphäre. Sie werden entsprechend der motorischen Initialsymptomatik klassifiziert und in Anfälle mit und ohne Bewusstseinsstörung eingeordnet.
Fokal beginnende Anfälle mit motorischer Initialsymptomatik
Ein Beginn mit motorischen Störungen kann gekennzeichnet sein durch:
•    Automatismen (zum Beispiel unwillkürliches Lecken der Lippen, Schmatzen, Gestikulieren und Wortwiederholungen)
•    atonische Anfälle (Reduktion oder Verlust des Muskeltonus)
•    klonische Anfälle (unwillkürliche rhythmische Muskelzuckungen)
•    epileptische Spasmen (rasche blitzartige Muskelanspannungen)
•    hyperkinetische Anfälle (agitierte Motorik)
•    myoklonische Anfälle (unwillkürliche kurze, nicht-rhythmische Muskelzuckungen)
•    tonische Anfälle (Muskelanspannung bzw. Versteifung einzelner Muskelgruppen)


Wie jeder epileptische Anfall kann auch ein fokal beginnender Anfall mit motorischen Symptomen in einen Status epilepticus (SE) übergehen und stunden- oder sogar tage- bis wochenlang andauern (Epilepsia partialis continua, Koževnikov-Status).


Fokal beginnende Anfälle ohne motorische Initialsymptomatik:
Fokale Anfälle ohne initial-motorische Störungen können folgenden Charakter haben:
•    autonom (zum Beispiel epigastrales Wärmegefühl, Schwitzen, Hautblässe, Inkontinenz oder Piloerektion)
•    mit Arrest-Symptomatik (Innehalten mit völligem Bewegungsverlust)
•    kognitiv (zum Beispiel Träumen oder verzerrte Zeitwahrnehmung)
•    emotional (zum Beispiel Wut-, Angst- oder Glücksgefühle)
•    sensorisch (vor allem visuelle, auditive, gustatorische, olfaktorische, vertiginöse und sensible Veränderungen)
Daneben gibt es fokal beginnende und zu bilateral tonisch-klonischen Anfällen übergehende Ereignisse [1,3,10].

Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung
Fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung entsprechen den bisher als „einfach-fokal“ bezeichneten Anfällen. Die Anfälle weisen häufig auf eine intrazerebrale Läsion hin. Sie können im Verlauf zu einer Bewusstseinsstörung führen oder in generalisierte Anfälle übergehen. Bisher hat man fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinseinschränkung, die mehr oder weniger regelhaft in generalisierte Anfälle übergehen, als Auren bezeichnet. Da eine Aura definitionsgemäß aber selbst ein epileptisches Ereignis darstellt, verwendet die neue Klassifikation diesen Begriff nicht mehr.


Wesentliche Formen im klinischen Alltag sind [1,3,10]:


Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen und Ausbreitungstendenz (Jackson-Anfälle)
•    beginnen mit rhythmischen klonischen Muskelkontraktionen in einem Körperabschnitt (am häufigsten in Hand und          Fingern, seltener in Gesicht, Bein und Rumpf)
•    bei Beteiligung des Mundwinkels Speichelfluss und Sprechstörungen als Begleitsymptomatik
•    selten initial tonische Komponenten
•    Muskelzuckungen breiten sich von distal nach proximal fortschreitend aus (march) und bleiben auf eine Körperhälfte       begrenzt
•     in etwa 60 Prozent der Fälle handelt es sich um rein motorische Anfälle, die restlichen gehen mit sensiblen              -      Symptomen einher, die vor oder während der Kloni auftreten können
•    Dauer meist einige Sekunden bis Minuteno    im Intervall normaler klinisch-neurologischer Befund
•    im EEG oft Herdbefunde in der kontralateralen Präzentralregion
•    häufige Ursachen sind lokalisierte Hirnschädigungen, im Erwachsenenalter vor allem Tumore
•    keine bestimmten Altersgruppen bevorzugt
•    auf fokale motorische Anfälle folgt oft eine vorübergehende schlaffe Parese oder Plegie der vom Anfall betroffenen          Körperpartie (Todd-Lähmung)

 

Fokal beginnende Anfälle mit motorischen Symptomen ohne Ausbreitungstendenz
•    lokalisierte motorische Anfälle, die sich klonisch äußern
•    häufig mit tonischer Komponente zu Beginn des Anfalls ohne Ausbreitung der klinischen Symptome
•    meist von kurzer Dauer (Sekunden bis wenige Minuten)
•    Bewusstseinsstörung im Verlauf möglich, ebenso der Übergang in einen bilateralen tonisch-klonischen Anfall (bisher       sekundär generalisierter tonisch-klonischer Anfall)
•    Rückschlüsse auf die fokale Lokalisation sind relativ verlässlich nur durch tonische Armbeugung und Beinstreckung        zu ziehen (Hinweis auf die kontralaterale Seite)

 

Fokal beginnende Anfälle mit Versivsymptomen (Versivanfälle)
•    Drehung des Kopfes oder der Augen, seltener auch des Oberkörpers mit tonischem oder klonischem Charakter
•    keine weitere Begleitsymptomatik
•    initial optische, akustische oder vestibuläre Symptome möglich
•    können ipsi- oder kontraversiv sein
•    Dauer meist 1–5 Minuten; über Tage anhaltende Serien sind möglich, ebenso eine sekundäre Generalisierung
•    Versivbewegungen sind hirnlokalisatorisch unzuverlässig
•    EEG: vor Anfallsbeginn häufig Kurvendepressionen, fokale Verlangsamungen oder fokale Sharp-Waves, danach             rhythmische Spikes mit zunehmender Amplitude und abnehmender Frequenz

 

Fokal beginnende Anfälle mit posturaler Symptomatik (posturale Anfälle)
•    veränderter Muskeltonus der Extremitäten
•    zunächst Kopfdrehung, Anheben der kontralateralen Hand und dystone Haltung der anderen Hand, beide Beine sind       in einer unnatürlichen Stellung tonisch flektiert oder extendiert oder ein Bein wird extendiert, das andere flektiert              (Fencer’s posture bzw. Figur 4)
•    während des Anfalls oft Sprechhemmung (Speech Arrest)
•    meist von der supplementär motorischen Region im Bereich des medialen frontalen Kortex ausgehend

 

Fokal beginnende Anfälle mit Arrest-Symptomatik (neue Klassifikation: Behavior Arrest)
•    Unterbrechung willkürlicher Bewegungen und Verhaltensweisen, Sprechhemmung (Speech Arrest)
•    bei gleichzeitiger Zuckung im Unterkieferbereich oder im Gesicht plus Speichelproduktion hat sich der Begriff                  Mastikatoriusanfälle etabliert (in der neuen Klassifikation nicht vorhanden)
•    differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist ein gestörtes Sprachverständnis bei epileptischer Aktivität in der                        sprachdominanten Hemisphäre

 

Fokal beginnende Anfälle mit somatosensorischen und sensorischen Symptomen
•    Sensibilitätsstörungen mit Parästhesien wie Kribbelgefühl, Taubheitsgefühl oder dem Gefühl des Anschwellens in            einzelnen Körperregionen
•    kombinierte sensorische und motorische Erscheinungen möglich; alle Bereiche der somato-/sensorischen                        Empfindungen können betroffen sein:
•    visuell (Lichtblitze oder komplexe optische Halluzinationen, Gegenstände können zu groß oder zu klein, zu nah oder      zu fern erscheinen)
•    auditiv (Vernehmen einzelner Töne, Geräusche, Lieder, Stimmen oder Musik)
•    olfaktorisch (meist unangenehme Geruchsempfindungen)
•    gustatorisch (Geschmackssensationen)
•    vertiginös (Schwank- oder Drehschwindel)
•    Anfallsformen können isoliert bleiben oder in eine Bewusstseinsstörung übergehen

 

Fokal beginnende Anfälle mit autonomen Symptomen
•    Gesichtsrötung oder -blässe, Pupillenverengung, Schweißausbruch, Nausea und Emesis, aufsteigendes Hitze- oder      Kältegefühl, Hypersalivation, Arrhythmien, Harn- und Stuhlverhalt oder Einnässen bzw. Einkoten
•    nur selten ohne begleitende Bewusstseinseinschränkung, häufiger sind einzelne autonome Symptome im Rahmen          fokal beginnender Anfälle mit späterer Bewusstseinsstörung

 

Fokal beginnende Anfälle mit kognitiven oder emotionalen Symptomen (sehr selten)
•    dysphasische, dysmnestische (Déjà-vu) und weitere kognitive Symptome (zum Beispiel Zwangsdenken) oder                  emotionale bzw. affektive Störungen (zum Beispiel Angst, Ärger)
•    münden meist in fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung

     Epileptische Spasmen
•    plötzlich auftretende Flexions- und/oder Extensionsbewegungen der proximalen Muskulatur der (oberen)                          Extremitäten und des Rumpfs
•    dauern gewöhnlich länger als Myoklonien und sind kürzer als tonische Anfälle
•    bisweilen subtile Ausprägung mit Grimassieren, Flexion des Kopfes oder tonischen bzw. klonischen                                  Augenbewegungen
•    in jedem Alter möglich, besonders häufig aber im frühen Kindesalter
•    Die neue Klassifikation führt diese Anfallsform sowohl bei den fokal beginnenden als auch bei den Anfällen mit generalisiertem Beginn und bei Anfällen mit unbekanntem Beginn auf

 

Fokal beginnende Anfälle mit Bewusstseinseinschränkung
Fokal beginnende Anfälle mit Bewusstseinseinschränkung (teilweise oder komplett) sind die häufigste Anfallsform im Erwachsenenalter (frühere Bezeichnung komplex-fokale Anfälle). Unterschieden wird zwischen Anfällen, bei denen nach fokalem Beginn das Bewusstsein erhalten ist und erst im weiteren Verlauf eintrübt, und Anfällen, bei denen von Anfang an eine Bewusstseinseinschränkung besteht.
Fokal initiierte Anfälle mit eingeschränktem Bewusstsein können ihren Ausgang frontal, temporal, parietal oder okzipital nehmen. Das klinische Bild erlaubt zuweilen Rückschlüsse auf die betroffene Hirnseite. So weisen einseitige Handautomatismen auf einen ipsilateralen Fokus, eine postiktale Parese, Dystonie der Hand und rhythmische Kloni auf die kontralaterale Seite des Fokus und eine postiktale Sprachstörung auf eine Einbeziehung der sprachdominanten Hemisphäre hin.
Neben der Bewusstseinsstörung sind häufig weitere Symptome zu beobachten, zum Beispiel:
•    Automatismen mit oralen Bewegungen
•    komplexe Stereotypien wie Nesteln, Wischen, einseitige Kloni oder dystone Haltungen der Extremitäten
•    Vokalisationen oder komplette szenische Handlungen, die sinnvoll erscheinen
•    versteifte oder atonisch wirkende Körperspannung
•    Bulbusdeviation
•    seitliche Kopf- oder Rumpfdrehung
•    vegetative Symptome wie Blässe oder Speichelfluss
•    gustatorische, olfaktorische, auditive oder optische Wahrnehmungen
•    Bekanntheit bzw. Vertrautheit einer Wahrnehmung und des Befindens (sogenannte Dreamy States), zum Beispiel            Déjà-vu und Jamais-vu
Ein initial seltsames Gefühl in der Magengegend, das zum Kopf aufsteigen kann, wird insbesondere bei temporalen Anfällen beschrieben.
Fokal beginnende Anfälle mit Bewusstseinseinschränkung dauern im Mittel eine halbe bis zwei Minuten an, bei frontalem Beginn auch kürzer oder länger. Eine sekundäre Generalisierung oder der Übergang in einen Status epilepticus sind möglich [10].

 

Epileptische Anfälle mit generalisiertem Beginn
Bei epileptischen Anfällen mit generalisiertem Beginn sind bereits am Anfang beide Hemisphären betroffen. Im iktalen EEG ist eine ausgedehnte Beteiligung großer Neuronenverbände sichtbar. Eine Bewusstseinsstörung ist häufig, aber nicht obligat vorhanden. Das klinische Bild ist heterogen.
Anfälle mit generalisiertem Beginn und motorischen Störungen äußern sich:
•    tonisch-klonisch (früher als Grand-mal-Anfall bezeichnet)
•    klonisch
•    tonisch
•    myoklonisch
•    myoklonisch-tonisch-klonisch
•    myoklonisch-atonisch
•    atonisch
•    als epileptische Spasmen


Anfälle mit generalisiertem Beginn ohne motorische Störung (Absencen) verlaufen:
•    typisch
•    atypisch
•    myoklonisch
•    als Absencen mit Lidmyoklonien


Nachfolgend werden exemplarisch ausgewählte Verläufe beschrieben [10]:

 

Myoklonische Anfälle mit generalisiertem Beginn
Hierbei handelt es sich um meist nur kurz andauernde Ereignisse mit vordergründig motorischer Komponente. Typisch sind mehr oder weniger symmetrische Zuckungen in unterschiedlicher Intensität. Ein Übergang in tonisch-klonische Anfälle ist möglich.
Myoklonische Anfälle sind vor allem bei idiopathischen generalisierten Epilepsien (zum Beispiel juvenile myoklonische Epilepsie), verschiedenen Epilepsieformen mit mentaler Retardierung (zum Beispiel Lennox-Gastaut-Syndrom) oder den progressiven Myoklonusepilepsien zu beobachten. Differenzialdiagnostisch sollen nichtepileptische Myoklonien abgegrenzt werden.
Im iktalen EEG sieht man irreguläre generalisierte Spikes, Spike-Wave-Komplexe oder Poly-Spike-Wave-Potenziale. Elektromyografisch können bi- oder polyphasische Potenziale von 20–120 ms Dauer abgeleitet werden.

Klonische Anfälle mit generalisiertem Beginn
Klonische Anfälle mit generalisiertem Beginn treten am häufigsten bei Neugeborenen oder Kleinkindern auf. Charakteristisch sind asymmetrische, irreguläre Muskelzuckungen.


Tonische Anfälle mit generalisiertem Beginn
Bei tonischen Anfällen mit generalisiertem Beginn sind die betreffenden Körperregionen in einer unnatürlichen Haltung fixiert. Meist sind die Gesichtszüge verzerrt und die Augen geöffnet. Abhängig von der Muskelbeteiligung werden axiale, axorhizomelische und globale tonische Anfälle unterschieden (in der neuen Klassifikation nicht explizit erwähnt). Ein generalisierter tonischer Anfall dauert im Schnitt nur etwa 10 Sekunden, kann aber auch bis zu 1 Minute anhalten. Das Bewusstsein ist teilweise eingeschränkt oder ganz gestört. Typische Begleitsymptome sind eine tonische Augendeviation, Mydriasis und autonome Symptome wie Tachykardie und Speichelfluss. Tonische Anfälle mit generalisiertem Beginn tretet oft im Schlaf auf.

 

Atonische Anfälle mit generalisiertem Beginn
Bei generalisierten atonischen Anfällen nimmt der Muskeltonus plötzlich ab. Dies kann generalisiert oder regional auf eine Körperpartie begrenzt sein. Ein beinbetonter Anfall beispielsweise führt zum Sturz des Patienten. Bei epileptischen Syndromen mit unterschiedlichen Anfallsformen sind atonische Anfälle mit fokalem und generalisiertem Beginn möglich.

Generalisierte tonisch-klonische Anfälle
Die neue Klassifikation differenziert zwischen generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (GTKA) mit fokalem oder generalisiertem Beginn. Ein fokal beginnendes Ereignis wird in der neuen Klassifikation als „primär fokaler sekundär bilateral-tonisch-klonischer Anfall“ bezeichnet. Der Begriff „generalisierte tonisch-klonische Anfälle“ bleibt den primär generalisierten Formen vorbehalten.
Ein generalisierter tonisch-klonischer Anfall hält meist bis zu drei Minuten an. Dem Ereignis können unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Unruhe, Nausea und Emesis vorausgehen – mitunter Stunden bis Tage vor dem Anfall. Ebenso kann der Anfall fokal eingeleitet werden (bisher als Aura bezeichnet).
Der generalisierte tonisch-klonische Anfall verläuft in drei Abschnitten: der tonischen, klonischen und postkonvulsiven Phase.
Die tonische Phase ist durch eine initial auftretende plötzliche Bewusstlosigkeit und tonische Beugung der Muskulatur, Stürzen, weit geöffnete Augen und einer Verdrehung der Bulbi nach oben gekennzeichnet. Der Mund ist starr und halb geöffnet, die Extremitäten sind meist gebeugt, abduziert und außenrotiert. Darauf folgt eine tonische Streckhaltung (Opisthotonus). Der Mund wird ruckartig geschlossen, zuweilen mit lateralen Zungen- oder Wangenbissen. Mitunter wird ein Geräusch (sogenannter Initialschrei) als Folge einer tonischen Kontraktion von Atem- und Kehlkopfmuskulatur mit konsekutiver Exspiration der Atemluft durch die Stimmritze ausgelöst. Die Pupillen sind weit und reaktionslos, Herzfrequenz und Blutdruck steigen, die Patienten schwitzen stark. Die Haut, insbesondere im Gesicht, verfärbt sich zunächst rot, infolge eines Atemstillstands dann bläulich.
Durch periodischen Tonusverlust wechselt die tonische in die (tonisch)-klonische Phase. Die klonische Aktivität verstärkt sich von distal nach proximal. Die atonischen Phasen werden länger. Im weiteren Verlauf nehmen die Beugekontraktionen an Häufigkeit ab und an Heftigkeit (Amplitude) zu. Jeder Beugekontraktion geht mit zunehmend stärkeren Ausatemstößen einher. Zungenkloni führen zu schaumigem, nach Zungen- oder Wangenbiss auch blutig tingiertem Speichelfluss aus dem Mund. Die Pupillen verengen sich rhythmisch mit jeder Zuckung. Unfreiwilliger Harn- und Stuhlabgang sind möglich.
Nach Ende des klonischen Stadiums folgt die sogenannte postkonvulsive Phase. Die Respiration setzt abrupt (meist röchelnd) wieder ein, Atmung und Hautkolorit normalisieren sich zunehmend. Das Bewusstsein kehrt allmählich zurück. Oft besteht initial eine Reorientierungsphase mit Verwirrtheit, Desorientiertheit und automatisierten Bewegungsschablonen, seltener auch Aggressivität. Nach vollständiger Wiedererlangung des Bewusstseins fühlen sich die meisten Patienten müde und erschöpft, viele klagen über Muskelkater. Oft sinken die Betroffenen vor der vollständigen Bewusstseinsklarheit in den sogenannten Terminalschlaf, seltener ist eine postiktale Unruhe beobachtbar. In dieser Zeit kann eine körperlich motorische Aktivität mit pseudo-sinnvollen Handlungen über die noch bestehende Bewusstseinseinschränkung hinwegtäuschen. Vorübergehende postiktale Lähmungen (sogenannte Todd-Parese) oder Aphasien sind möglich. Für die Dauer des Anfalls besteht eine Amnesie.

 

Anfälle mit generalisierter Ausbreitung ohne motorische Störung (Absencen)
Absencen sind als nichtkonvulsive Bewusstseinspausen definiert. Hinsichtlich des klinischen Bilds und der Begleitsymptomatik werden typische und atypische Formen unterschieden. Absencen können bei unterschiedlichen Epilepsieformen auftreten [10].

 

Typische Absencen
Als typische Absence wird eine abrupt beginnende Bewusstseinspause, die nach etwa 5–10 Sekunden (selten länger) endet, bezeichnet. Bei sehr kurzen Bewusstseinspausen können Absencen übersehen werden. Typischerweise sind die Augen des Patienten (weit) geöffnet, der Blick ist starr, die Gesichtsmuskulatur zuweilen leicht hypoton. Eine diskrete Bulbusdeviation zur Seite oder nach oben und milde Myoklonien der Extremitäten sind möglich. Begonnene Tätigkeiten werden unterbrochen und nach Anfallsende wieder aufgenommen. Weitere Symptome liegen nicht vor. Typische Absencen werden oft als Unaufmerksamkeit oder Verträumtheit fehlgedeutet.
Das iktale EEG zeigt meist ein typisches, symmetrisches, regelmäßiges 3/s-Spike-Wave-Muster, irreguläre Spike-Wave-Paroxysmen mit einer Frequenz von 2–4/s sind ebenfalls möglich. Interiktal finden sich oft intermittierende Spike-Wave-Paroxysmen, die durch Hyperventilation provoziert werden können.

 

Atypische Absencen
Atypische Absencen dauern länger als typische, beginnen und enden weniger abrupt, und die Bewusstseinsstörung ist nicht immer vollständig. Häufig bestehen Automatismen, autonome Veränderungen oder atonische, tonische oder klonische Phänomene. Die Abgrenzung zu fokalen Anfällen ist weniger eindeutig als bei typischen Absencen.
Im iktalen EEG (und oft auch interiktal) finden sich analog zur Klinik atypische Veränderungen, zum Beispiel asymmetrische, irreguläre 2- bis 2,5-Hz-Spike-Wave-Paroxysmen oder irreguläre Poly-Spike-Wave-Komplexe.

 

Myoklonische Absencen
Myoklonische Absencen sind Absencen mit deutlichen myoklonischen Symptomen.

Absencen mit Augenlid-Myoklonien (eyelid myoclonia)
In der neuen Klassifikation finden sich Absencen mit Augenlid-Myoklonien erstmals als eigenständige Form.


Anfälle mit unklarem Beginn
Epileptische Anfälle mit unklarem Beginn können mit motorischen Symptomen als tonisch-klonisches Ereignis oder in Form epileptischer Spasmen und ohne motorische Symptomatik als Arrest auftreten [10].

Status epilepticus
Die meisten epileptischen Anfälle sind selbstlimitierend und enden innerhalb weniger Minuten. Jeder epileptische Anfall, der länger als 5 Minuten anhält (oder ≥ 2 aufeinanderfolgende Anfälle über einen Zeitraum von mehr als 5 Minuten ohne Wiedererlangen des präiktalen neurologischen Ausgangszustands), wird als Status epilepticus (SE) bezeichnet. Jeder SE ist ein neurologischer Notfall, der zwingend einer notärztlichen Behandlung und Intensivüberwachung unter Intubationsbereitschaft bedarf [11].

 

Komorbidität:

Viele Epilepsien sind mit Begleiterkrankungen unterschiedlicher Art und Schwere assoziiert. Häufige Komorbiditäten sind [1,8,10]:
•    Angsterkrankungen
•    Depressionen
•    Lernbehinderungen
•    Intelligenzminderung
•    Verhaltensauffälligkeiten und andere neuropsychologische Defizite
•    psychiatrische Erkrankungen, zum Beispiel Autismus-Spektrum-Störung
•    psychosoziale Beschwerdebilder
•    motorische Defizite wie Zerebralparese oder Verschlechterung des Gangbilds
•    Skoliose
•    Schlafstörungen
•    gastrointestinale Beschwerden

 

Akute symptomatische Anfälle
Akute symptomatische Anfälle (ASA) sind epileptische Ereignisse, die in engem zeitlichem Zusammenhang (in der Regel nicht länger als eine Woche) mit einer ZNS-Infektion, einem Schlaganfall, einem Schädelhirntrauma, einer Hypoglykämie oder ähnlichen Situationen auftreten. Diese Anfälle gelten als akut-symptomatisch. Fieberkrämpfe bilden hier eine Sonderform.
Ein akuter symptomatischer Anfall kann mit einem Risiko von 20–30 Prozent der Beginn einer Epilepsie sein. Andererseits sind provozierte Anfälle auch im Rahmen einer bereits bestehenden Epilepsie möglich [1].

 

Diagnostik
Die Epilepsie-Diagnostik umfasst Anamnese und Klinik, laborchemische Parameter, eine EEG-Untersuchung und bildgebende Verfahren.

 

Anamnese und Klinik
Bei der Erhebung der Eigen- und Fremdanamnese werden neben der detaillierten Beschreibung des Anfallsgeschehens (eigen- und fremdanamnestisch, evtl. per Videosequenz bzw. Handyaufzeichnung) folgende Informationen evaluiert:
•    eventuelle Komplikationen während Schwangerschaft oder Geburt des Patienten
•    Ablauf der frühkindlichen Entwicklung
•    Infektionskrankheiten
•    Impfkomplikationen
•    Fieberkrämpfe in der Kindheit
•    Unfälle mit Schädel-Hirn-Trauma  
•    familiäre epileptische Anfälle
•    Medikamentenanamnese
•    Alkohol- oder Drogenkonsum und andere Lebensgewohnheiten
Die Erstuntersuchung eines Patienten mit einem oder mehreren epileptischen Anfällen beinhaltet zwingend eine allgemeine körperliche und neurologische Untersuchung [10].

 

Labordiagnostik
Laboruntersuchungen dienen vor allem der Differenzialdiagnostik. Bestimmt werden sollten Blutbild, Blutzucker, Elektrolyte, Leber- und Nierenparameter sowie die Serumkreatinkinase (CK). Bei unklar erhöhter Blutsenkungsgeschwindigkeit müssen Tumore, Infektionen und immunologische Erkrankungen wie zerebrale Vaskulitis, Lupus erythematodes ausgeschlossen werden.
Eine Liquordiagnostik ist außer bei Verdacht auf entzündliche ZNS-Prozesse wie Meningitis/Enzephalitis nicht indiziert. Cave: Ein generalisiert tonisch-klonischer Anfall kann eine vorübergehende Pleozytose im Liquor von bis zu 40 Zellen/μl verursachen und eine differenzialdiagnostische Abgrenzung erschweren.

 

Besonderheiten
Unmittelbar nach generalisierten tonisch-klonischen Anfällen, nach fokal beginnenden Anfällen mit Bewusstseinsstörung und seltener auch nach fokalen Anfällen ohne Bewusstseinsstörung mit motorischen Symptomen kann sich die hypophysäre Prolaktin-Freisetzung verändern und zu erhöhten Prolaktin-Konzentrationen im Serum führen. Werte über 700–1000 μU/ml sprechen für das Vorliegen eines epileptischen Anfalls. Da epileptische Anfälle auch bei normalen Prolaktinspiegeln möglich sind, ist die Methode für die Differenzierung epileptischer von nichtepileptischen bzw. dissoziativen Anfällen nur begrenzt geeignet.
Nach einem generalisierten tonisch-klonischen Anfall können die CK-Werte auf das 8- bis 19-Fache des Ausgangswerts ansteigen; als verlässlich gelten Konzentrationen > 1000 U/l 24–48 Stunden postiktal. Allerdings steigt die CK auch nach nicht epilepsieassoziierten Stürzen, nach sportlicher Betätigung oder nach i.m.-Injektionen an. Ebenso kann eine CK-Erhöhung nach einem epileptischen Anfall ausbleiben. Deshalb hat die Serumkreatinkinase nur einen geringen differenzialdiagnostischen Aussagewert.
Bei Verdacht auf eine progressive Myoklonusepilepsie bei mitochondrialer Enzephalomyopathie können die Laktatbestimmung und eine Muskelbiopsie diagnostisch hilfreich sein [1,10].

 

EEG-Diagnostik
Die konventionelle Elektroenzephalografie (EEG) stellt, sofern epilepsietypische Potenziale nachweisbar sind, ein gutes diagnostisches Instrument zur Sicherung der klinischen Verdachtsdiagnose dar. Ein unauffälliges EEG schließt das Vorliegen einer Epilepsie allerdings nicht aus – das heißt, die Erkrankung kann durch einen EEG-Befund weder bewiesen noch widerlegt werden.
Trotzdem kann ein EEG bei der Differenzierung zwischen primär fokalen und primär generalisierten Anfällen und bei der Klassifizierung verschiedener Epilepsiesyndrome helfen, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.
Bei Schwierigkeiten in der klinischen Anfallstypisierung können Schlafableitungen bzw. Langzeitableitungen über 4–24 Stunden (auch bis zu mehreren Tagen) die Aussagefähigkeit des EEG erhöhen. Ebenso ist eine Schlafableitung nach Schlafentzug als Provokationsfaktor für epilepsietypische Potenziale durchführbar; es sei denn, es bestehen anamnestisch eindeutige Hinweise, dass Schlafentzug zu generalisierten tonisch-klonischen Anfällen führt. In dem Fall ist ein Schlafentzugs-EEG kontraindiziert.
Zur Differenzierung epileptischer und nichtepileptischer Anfälle, einer besseren Klassifikation der Anfälle und ggf. zur Fokuslokalisation ist die Ableitung eines iktalen EEG zu empfehlen, insbesondere als simultane Doppelbildaufzeichnung mit einer zeitlich korrelierenden Videoaufnahme des Anfalls.
Zur Abbildung mehrerer Anfälle eignet sich ein EEG-Intensiv-Monitoring über mehrere Tage unter simultaner Doppelbildaufzeichnung.
Bei der invasiven EEG-Diagnostik werden Elektroden im Schädelinnern platziert [1,10].

 

Bildgebung
Zur Abklärung von zerebralen strukturellen Veränderungen ist die Magnetresonanztomografie (MRT) die bildgebende Methode der Wahl. Gerade bei der Identifikation kleiner Läsionen und kortikaler Veränderungen weist sie eine höhere Sensitivität und Spezifität auf als die craniale Computertomografie (cCT). Unter Umständen kann die cCT dennoch eine geeignete Untersuchungsmethode sein, zum Beispiel in der akuten Notfallsituation mit Anfällen im Rahmen eines Schädel-Hirn-Traumas, einer intrakraniellen Blutung/Verkalkung oder Enzephalitis, aber auch wenn eine MRT akut nicht durchgeführt werden kann oder aus technischen Gründen (zum Beispiel Herzschrittmacher) nicht infrage kommt.
Bei therapieresistenter Epilepsie und unauffälligem MRT-Befund sollte die Bildgebung in mehrjährigen Abständen wiederholt werden.
Neue MRT-Verfahren, die die Daten der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT), der Elektroenzephalografie (EEG) oder der Magnetenzephalografie (MEG) integrieren, haben die Detektion epileptogener Läsionen – vor allem der fokalen kortikalen Dysplasien – deutlich verbessert. Die Single-Photon-Computer-Emissionstomografie (SPECT) gibt Aufschluss über die Dynamik von Durchblutungsveränderungen, die Positronenemissionstomografie (PET) über metabolische Einflüsse. Derzeit haben sich die Methoden aber noch nicht in der Routinediagnostik bei Epilepsien etabliert, die Anwendung ist nur speziellen Fragestellungen vorbehalten [1,10].

 

Differenzialdiagnosen
Die wichtigsten Differentialdiagnosen zu einem epileptischen Ereignis sind [1,10]:
•    psychogene nicht-epileptische Anfälle (dissoziative Anfälle)
•    (konvulsive) Synkopen
•    REM-Schlaf-Verhaltensstörungen
•    Non-REM-Schlaf-Verhaltensstörungen
•    transiente globale Amnesien (TGA)
•    paroxysmale Bewegungsstörungen
•    transiente ischämische Attacken (insbesondere bei älteren Patienten)
•    komplizierte Migräne
•    kardiale Arrhythmien mit Bewusstseinsverlusten

 

Therapie
Ziel der Behandlung von Epilepsie ist die vollständige Anfallsfreiheit mit den geringsten Nebenwirkungen. Grundsätzlich muss zwischen der Dauertherapie und der Akutbehandlung eines epileptischen Anfalls unterschieden werden. Die meisten Epilepsiepatienten profitieren von einer medikamentösen Therapie mit Antikonvulsiva.
Bei pharmakoresistenten Epilepsieformen sind chirurgische Eingriffe wie Temporallappenresektion oder die selektive Entfernung von Amygdala und Hippocampus sowie Stimuliverfahren wie Vagusnervstimulation oder tiefe Hirnstimulation des anterioren Thalamus eine mögliche Therapieoption.
Zu einem multimodalen Behandlungskonzept gehören neben der individuellen Patientenschulung gegebenenfalls auch sozialtherapeutische, psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Behandlungsmethoden. Unter Umständen können spezielle Ernährungstherapien (insbesondere ketogene Diät) erwogen werden.

Medikamentöse Therapie
Antiepileptika beeinflussen nicht die Epileptogenität der zugrundeliegenden Epilepsie. Vielmehr wirken sie als Anfallsblocker, indem sie die Krampfschwelle des Gehirns für das Auftreten von Anfällen erhöhen. Deshalb ist die Bezeichnung Antikonvulsiva treffender.
Insgesamt gibt es mehr als 20 Wirkstoffe zur Anfallsbehandlung. Diese können als Monotherapie oder in Kombination (Add-on) gegeben werden. Die Auswahl richtet sich nach der individuellen Patienten-Situation (Patientenwunsch, Körpergewicht, Geschlecht, kognitive Leistungsfähigkeit, psychiatrische Komorbidität, Komedikation etc.). Daneben ist die Pharmakokinetik eines Wirkstoffs hinsichtlich der Langzeiteffekte und -probleme durch Enzymhemmung und -induktion zu beachten. Da die meisten Epilepsie-Patienten eine Langzeittherapie (oft lebenslang) benötigen und mit steigendem Alter vielfach weitere behandlungsbedürftige Krankheiten auftreten, sollten Arzneimittel – soweit möglich – ohne Enzyminduktion oder -hemmung bevorzugt werden.
Bei fokalen Epilepsien empfiehlt die S1-Leitlinie „Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter“ Lamotrigin und Levetiracetam als Mittel der ersten Wahl, alternativ können die entsprechend zugelassenen Medikamente Carbamazepin, Gabapentin, Lacosamid, Oxcarbazepin, Topiramat, Valproinsäure oder Zonisamid eingesetzt werden.
Bei neu diagnostizierten generalisierten und unklassifizierbaren Epilepsien weisen die SANAD-Studien Valproat als bestes Medikament hinsichtlich Wirksamkeits- und Nebenwirkungsprofil aus. Aufgrund seiner teratogenen Effekte und negativen Einflüsse auf die kognitive Entwicklung von pränatal Valproat-exponierten Kindern ist der Wirkstoff bei Mädchen und Frauen im gebärfähigen Alter allerdings problematisch und sollte nicht verordnet werden.
Wird sich nach Versagen anderer Pharmakotherapeutika dennoch für eine Valproat-Therapie entschieden, müssen die Patientinnen einmal pro Jahr schriftlich über die entsprechenden Risiken aufgeklärt werden. Alternativen zu Valproat bei neu diagnostizierten generalisierten und unklassifizierbaren Epilepsien sind Lamotrigin, Levetiracetam und Topiramat. Perampanel, Lacosamid und Brivaracetam wird in der Zusatztherapie bei unkontrollierten generalisierten Epilepsien eine Wirksamkeit bescheinigt [1,12].
Für weiterführende Informationen bezüglich der empfohlenen Dosierung, des Interaktionspotenzials mit anderen Medikamenten, Nebenwirkungen und Warnhinweisen wird auf die entsprechenden Fachinformationen verwiesen.

 

Operative Behandlung
Die Epilepsiechirurgie ist eine bedeutsame Therapie-Option bei pharmakorefraktärer Epilepsie. Bei der operativen Therapie unterscheidet man resektive und nicht-resektive (bzw. palliative) Verfahren. Letztere sind nicht strukturentfernend und haben primär funktionelle Auswirkungen. Eine Anfallsfreiheit ist in der Regel nur durch resektive Verfahren zu erreichen.

Resektive Verfahren
Ein epilepsiechirurgisch resektiver Eingriff ist nur bei einer Pharmakoresistenz des Patienten indiziert. Diese besteht laut ILAE, wenn zwei adäquat eingesetzte Antiepileptika-Therapien nicht ausreichend wirksam waren. Andere Autoren sehen eine Pharmakoresistenz erst nach dem vergeblichen Einsatz von sechs Medikamenten als gegeben.
Mit etwa 60 Prozent erfolgt die Mehrzahl der chirurgischen Eingriffe im Schläfenlappen als angepasste Temporallappenresektion. Unter Fortführung der medikamentösen Behandlung zeigen Publikationen hinsichtlich der Anfallsfreiheit Erfolgszahlen von mehr als 60 Prozent.
Weitere resektive epilepsiechirurgische Eingriffe sind die selektive Amygdala-Hippokampektomie, Topektomie bzw. Läsionektomie, Hemisphärektomie bzw. Hemisphärotomie und die Resektion/Radiation (speziell bei hypothalamischen Hamartom).
Die Frage, ob und – wenn ja – mit welchen Erfolgsaussichten eine Operation durchgeführt werden sollte, kann nur von spezialisierten epilepsiechirurgischen Zentren getroffen werden [1,10].

Palliative Verfahren
Im Gegensatz zu den resektiven Verfahren, mit denen primär eine Anfallsfreiheit erreicht werden soll, zielen palliative Verfahren wie die Kallosotomie und isolierte Lobektomie auf die positive Beeinflussung der Sturzanfälle ab. Die kognitiven Folgen sind jedoch problematisch und können selbst bei Patienten mit niedrigem Intelligenzquotienten (IQ) lebensbeeinträchtigend sein. Das Verfahren sollte daher nur am Ende der Therapiekette in Betracht gezogen werden. Die Erfolgsrate der Kallosotomie für Sturzanfälle liegt bei etwa 60 Prozent, andere Anfälle werden kaum beeinflusst. [1].

Stimulationsverfahren
Mittels Stimulationsverfahren können sowohl periphere neuronale Netzwerke oder direkt der epileptogene Herd stimuliert werden. Eine kontinuierliche Stimulation mit verschiedenen Frequenzen und unterschiedlichen Abständen zwischen den Reizserien oder eine Stimulation kurz nach Beginn eines Anfalls soll die Anfallsaktivität minimieren.

Vagusnervstimulation
Die Vagusnervstimulation (VNS) ist das am weitesten verbreitete Stimulationsverfahren bei Epilepsie. Weltweit wurden bereits mehr als 80.000 Stimulatoren implantiert. Nach einer VNS-Behandlung werden epileptische Anfälle im Schnitt um bis zu 50 Prozent reduziert. Ein zusätzlicher Vorteil ist der antidepressive Effekt der Behandlung.
Die neue Generation der VNS-Stimulatoren erlaubt eine responsive Therapie. Hier wird bei Anfällen, die mittels iktaler Tachykardie detektiert werden, eine zusätzliche Stimulation ausgelöst.

Tiefe Hirnstimulation
Die tiefe Hirnstimulation ist hierzulande noch nicht weit verbreitet. Zu den Verfahren zählen die Stimulation des anterioren thalamischen Nucleus, Nucleus accumbens und Hippocampus. In den USA ist zudem die responsive fokale kortikale Stimulation (RNS-System) in der Epilepsiebehandlung zugelassen [1].

Komplementäre Verfahren
Für die meisten komplementären Verfahren gibt es keine kontrollierten Studien und somit auch keine Empfehlungen der Leitlinienexperten. Im Alltag angewandte Alternativmethoden sind Biofeedback-Therapie, Akupunktur, der Einsatz von Cannabinoiden und die Anpassung von Ernährungsgewohnheiten. Die Wirksamkeit der ketogenen Diät bei einigen Epilepsieformen im Kindesalter wurde bereits durch Studien belegt [1].

Therapie des Status epilepticus
Die Therapie des Status epilepticus (SE) erfolgt in vier Stufen.

Stufe 1 – Initialer SE
Ein generalisierter Status epilepticus wird initial mit ausreichend hoch dosierten Benzodiazepinen wie Midazolam (i.v., i.m. aus einem Applikator, nasal oder bukkal), Lorazepam (i.v.), Clonazepam (i.v.) und Diazepam (i.v., rektal) sowie individuell erforderlichen symptomatischen Maßnahmen monitorüberwacht deeskaliert.

Stufe 2 – Benzodiazepin-refraktärer SE
Bei anhaltendem Benzodiazepin-refraktärem Status sollen als Medikamente der 1. Wahl Levetiracetam, Valproat oder Fosphenytoin gegeben werden. Mittel der 2. Wahl ist Lacosamid.
Hinweise zum Zulassungsstatus:
•    Levetiracetam hat aktuell keine EU-Zulassung zur Therapie des SE.
•    Valproat ist beim Absencenstatus als 1. Wahl, beim fokalen nonkonvulsiven SE als 2. Wahl nach Benzodiazepinen und beim konvulsiven SE als Mittel der 3. Wahl zugelassen.
•    Fosphenytoin ist zwar in Deutschland und Österreich zugelassen, wird aber nicht vermarktet. In der Schweiz besteht keine Zulassung.
•    Zur Therapie des SE zugelassen; alternativ einsetzbar sind Phenytoin und Phenobarbital.
•    Lacosamid ist nicht zur Therapie des SE zugelassen.

Stufe 3 – refraktärer SE (RSE) und Stufe 4 – superrefraktärer SE (SRSE)
Der refraktäre konvulsive Status epilepticus soll unter intensivmedizinischen Bedingungen und kontinuierlichem Monitoring mit Propofol oder Midazolam oder einer Kombination der beiden oder mit Thiopental in anästhetischen Dosen behandelt werden. Beim fokalen nonkonvulsiven refraktären Status epilepticus kann nach klinischer Konstellation ggf. auf die Einleitung eines therapeutischen Komas verzichtet werden.
Bei Patienten mit SRSE sollte die ketogene Diät zum Einsatz kommen. Die Anwendung von Barbituraten (Thiopental), Ketamin i.v. oder inhalativem Isofluran kann unter Abwägung von Nutzen und Risiken erwogen werden. In Einzelfällen sind elektrokonvulsive Maßnahmen und bei identifizierter resektabler epileptogener Zone resektive epilepsiechirurgische Verfahren zu überdenken. Allopregnanolon und die systemische Hypothermie sollen gemäß der Leitlinie nicht eingesetzt werden [11].

 

Prognose
Die Prognose bei Epilepsie hängt von vielen Faktoren ab und ist nicht einheitlich vorhersagbar. Grundsätzlich aber sollte jede Epilepsie therapeutisch kontrolliert werden.
Trotz großer Fortschritte in der medikamentösen Epilepsiebehandlung werden nach wie vor nur zwei Drittel der frisch diagnostizierten Epilepsiekranken anfallsfrei, das heißt, sie bleiben ein komplettes Jahr ohne Anfälle: die meisten Patienten beim ersten Therapieversuch, etwa 12 Prozent beim zweiten und rund 4 Prozent bei jedem weiteren Epilepsiemanagement. Die Erfolgsrate bei generalisierter Epilepsie liegt mit 68 Prozent etwas höher als bei den fokalen Epilepsien mit 63 Prozent. Drogenkonsumenten haben eine um zwei Drittel erhöhte Wahrscheinlichkeit für ein Therapieversagen, Patienten mit an Epilepsie erkrankten Verwandten ersten Grades um 55 Prozent. Ferner sind häufige Anfälle vor Therapiebeginn mit einer ungünstigen Prognose verbunden [13,14].
Ob eine Epilepsie ausheilen kann, wird kontrovers diskutiert. Definitionsgemäß gilt eine Epilepsie als „überwunden“
•    bei Patienten mit einem altersabhängigen Epilepsie-Syndrom, die jenseits des entsprechenden Alters sind.
•    bei Patienten, die mindestens zehn Jahre anfallsfrei sind und seit mindestens fünf Jahren keine Antiepileptika mehr einnehmen.
Die Definition basiert allerdings nicht auf Evidenz. Derzeit gibt es keine Studien zur Höhe des Rezidivrisikos bei Menschen, die mindestens zehn Jahre anfallsfrei und davon mindestens fünf Jahre ohne Antiepileptika sind [1].

Absetzen von Medikamenten bei langjähriger Anfallsfreiheit
Eine generelle Empfehlung, wann und bei welchen Patienten die Medikamente abgesetzt werden können, ist bei den vielfältigen Ursachen der Epilepsie nicht möglich. Da Antiepileptika grundsätzlich nicht kurativ wirken, bleibt selbst bei Anfallsfreiheit die Ursache der Epilepsie bestehen. Diese ist nur bei erfolgreichen epilepsiechirurgischen Eingriffen zu beseitigen.
Die meisten Epilepsie-Patienten müssen lebenslang pharmakotherapeutisch behandelt werden. Bei einigen kindlichen Epilepsiesyndromen wie der benignen fokalen Epilepsie und Absence-Epilepsie des Kindesalters verschwindet die Epileptogenität in der Adoleszenz. Im Erwachsenenalter richtet sich der Absetzversuch nach der Ursache der Epilepsie. Persistiert diese, muss auch nach langjähriger Anfallsfreiheit beim Absetzen der antikonvulsiven Medikation mit einem Rezidiv gerechnet werden. Dieses kann Monate bis Jahre später eintreten, den Patienten in einer überraschenden Situation treffen und ihn damit gefährden.
Rezidive treten vor allem bei genetischer Disposition (Rückfallraten über 80 Prozent) und fokalen Läsionen auf. Selbst nach chirurgischer Entfernung des epileptischen Herdes kommt es beim systematischen Absetzen bei einem von drei Patienten zu Rezidiv-Anfällen. Nach einem epilepsiechirurgischen Eingriff wird empfohlen, die Medikation zu vereinfachen und zu reduzieren. Ein vollständiges Absetzen sollte ausführlich und kritisch mit dem Patienten besprochen und individuell abgewogen werden.
Die Beurteilung der Fahrtauglichkeit nach Absetzen der Antiepileptika erfolgt gemäß den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung. Ansprechpartner in Deutschland ist die Bundesanstalt für Straßenwesen (BAST), in Österreich das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie. Für die Schweiz gelten die aktuellen Richtlinien zur Fahrtauglichkeit der Verkehrskommission der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie.

 

Compliance
Um eine bestenfalls lebenslange Anfallsfreiheit zu gewährleisten, müssen die Medikamente gewissenhaft und regelmäßig eingenommen werden. Leider ist die Compliance bei Epilepsie-Patienten häufig nicht optimal, insbesondere nach langjähriger Anfallsfreiheit. Viele Patienten vergessen ab und an die Medikamenteneinnahme, ohne dass ein Anfall auftritt. Andere setzen die Behandlung eigenmächtig und ohne ärztliche Rücksprache ab. Das kann nicht nur die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Anfalls erhöhen, sondern auch Verletzungen, soziale Auswirkungen oder einen SUDEP (sudden unexpected death in epilepsy) zur Folge haben. Eine entsprechende Beratung sollte bereits während der Ersteinstellung erfolgen [1].

Prophylaxe
Vielen Epilepsie-Formen kann nicht vorgebeugt werden, zum Beispiel solchen mit genetischer, autoimmun-assoziierter und/oder struktureller Genese. Ein gewisser Schutz ist bei traumatischen, metabolischen und infektiösen Ursachen zu erreichen. Dazu gehören:
•    Meiden exogener Noxen in der Schwangerschaft (Röntgenstrahlen, Infektionen, Nikotin, Alkohol, Drogen oder teratogene Medikamente)
•    Vitamin-K-Prophylaxe bei Neugeborenen bei Kindern epilepsiekranker Mütter
•    regelmäßige Screenings im Kinder- und Jugendalter auf metabolische Störungen
•    unfallbedingte Gehirnerkrankungen verhindern (Schutzhelme beim Radfahren, Rollerbladen oder Skaten)
•    Meningitis-/Enzephalitis-Prophylaxe (Schutzimpfungen, Ansteckung vermeiden, Krankheiten auskurieren)
•    kardiovaskuläre Risikofaktoren senken
•    
Anfallsprophylaxe
Bei gesicherter Epilepsie-Diagnose hilft vor allem die regelmäßige Medikamenteneinnahme, epileptische Anfälle zu verhindern. Daneben sollten anfallsauslösende Faktoren – sogenannte Trigger – reduziert werden. Als Trigger werden Situationen bezeichnet, die epileptische Anfälle provozieren können. Unterschieden werden substanzabhängige Faktoren und situationsabhängige Einflüsse.

Substanzabhängige Trigger
Zu den substanzabhängigen Faktoren zählen vor allem Alkohol (zählt zu den häufigsten anfallsauslösenden Substanzen im Erwachsenenalter) und Drogen wie Ecstasy, Crack, Kokain, Amphetamine und Amylnitrit (sogenannte Poppers). Ebenso können Medikamente die Krampfschwelle erniedrigen und so die Anfallsbereitschaft erhöhen.
Dazu gehören:
•    Neuroleptika wie Clozapin, Olanzapin und Haloperidol
•    Antidepressiva wie Amitriptylin, Amoxapin, Bupropion, Clomipramin und Maprotilin
•    Antibiotika, insbesondere hochdosiertes Penicillin, seltener Carbapeneme (Meropenem, Imipenem und Ertapenem), Cephalosporine der vierten Generation und Ciprofloxacin.
•    Analgetika wie Alfentanil, Indometacin und Tramadol
•    Antiemetika wie Metoclopramid und Ondansetron
Anfallssteigernd wirken auch Entzugssituationen wie beim Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenentzug [1,15–19].

 

Situationsabhängige Trigger
Folgende Situationen können epileptische Anfälle auslösen [20,21]:
•    Schlafentzug, Schlafdefizit, Verschiebung des Schlaf-Rhythmus
•    Extrembelastungen (körperlich, psychisch und emotional)
•    Starke optische und akustische Reize (Flackerlicht, Stroboskopeffekte)
•    rasche Hell-Dunkel-Wechsel (zum Beispiel beim Fernsehen oder Videospielen)
•    
Epilepsie-Syndrome
Nach der ILAE-Klassifikation ist ein Epilepsie-Syndrom durch eine typische Symptom- und Befundkonstellation gekennzeichnet. Die Mehrzahl der Epilepsie-Syndrome beginnt im Kindes- oder Jugendalter. Dazu gehören:

Epilepsiesyndrome bei Neugeborenen
Ohtahara-Syndrom (frühinfantile epileptische Enzephalopathie mit „Burst Suppression“)
•    schwere Form einer altersbedingten epileptischen Enzephalopathie
•    Beginn innerhalb der ersten drei Lebensmonate
•    generalisierte und symmetrische tonische Spasmen (in Clustern oder einzeln auftretend) bis zu Hunderte Male pro Tag möglich
•    Schlafzyklus-unabhängiges Auftreten
•    Pneumonien und andere Komplikationen führen häufig zum Tod
•    
West-Syndrom (Infantile Spasmen, Blitz-Nick-Salaam Krämpfe)
•    Erstmanifestation im Säuglingsalter, meist zwischen dem 2. und 7. Lebensmonat
•    Serien mit bis zu mehr als 100 kurz andauernden bilateral symmetrischen blitzartig auftretenden Myoklonien mit Extensions- oder Flexionsbewegung der Extremitäten, insbesondere der Beine (Blitz-Anfall), einer krampfartigen Beugung des Kopfes (Nick-Anfall) und Hochwerfen und Beugung der Arme, ggf. mit Zusammenführen der Hände vor der Brust und Rumpfbeugung (Salaam-Anfall)
•    nach initialem Behandlungserfolg häufig Rezidive
•    75 Prozent der betroffenen Kleinkinder haben motorische, sensorische und mentale Ausfälle 
   
Dravet-Syndrom (frühinfantile schwere Myoklonusepilepsie)
•    frühkindliche Enzephalopathie und psychomotorische Retardierung
•    Erstmanifestation meist innerhalb des 1. Lebensjahres mit klonisch/tonisch-klonischen generalisierten oder unilateralen Krampfanfällen
•    Myoklonus, atypische Absencen und komplex-partielle Anfälle im 2. und 3. Lebensjahr
•    oft hemiklonischer oder generalisierter Status epilepticus
•    Langzeitprognose trotz Therapie ungünstig, meist bleibende kognitive Einschränkungen und Verhaltensauffälligkeiten
•    hohes SUDEP-Risiko (sudden unexpected death in epilepsy patients) mit plötzlicher und unvermittelter Todesfolge [22]

 

 

Epilepsiesyndrome im Kleinkindalter

Lennox-Gastaut-Syndrom (Lennox-Enzephalopathie)
•    sehr schweres infantiles Epilepsiesyndrom
•    Erstmanifestation zwischen dem 2. und 7. Lebensjahr
•    generalisiertes Krampfleiden mit schweren Krampfanfällen (atypische Absencen, axial-tonische Krämpfe, plötzliche atonische/astatische oder myoklonische Sturzanfälle)
•    meist sehr hohe Anfallshäufung, insbesondere beim Schlafen
•    hohe Therapieresistenz, schlechte Prognose
•    
Doose-Syndrom (Epilepsie mit myoklonisch-astatischen Krisen)
•    Erstmanifestation zwischen 2. und 5. Lebensjahr
•    initial tonisch-klonische Anfälle, später myoklonisch-astatische Sturzanfälle, selten auch Absencen
•    Prognose abhängig vom Therapieansprechen; 1/3 der Fälle sind therapierefraktär
•        
CSWS (continuous spike-wave during sleep) -Syndrom (Epilepsie mit kontinuierlichen Spike-Wave-Entladungen im Slow-Wave-Schlaf)
•    seltene epileptische Enzephalopathie bei Kindern
•    Beginn meist im Alter von 2 bis 4 Jahren
•    charakteristisch sind unilateral, typischerweise schlafgebundene, tonisch-klonische oder klonische Anfälle
•    zwischen 5 und 6 Jahren nehmen Zunahme und Verschlechterung der Symptomatik
•    typisch sind elektroenzephalografische Muster eines Status epilepticus im Schlaf
•    Kinder zeigen deutliche Entwicklungsverzögerungen (Sprache, soziale Interaktion, Globalintelligenz, motorische Fähigkeiten und Verhalten) [22]
•    
Epilepsiesyndrome bei Kindern

Landau-Kleffner-Syndrom (Aphasie-Epilepsie-Syndrom)
•    Erstmanifestation zwischen 2 und 8 Jahren
•    bereits erworbene sprachliche Fähigkeiten gehen innerhalb weniger Tage bis Wochen verloren, dazu kommen partielle motorische, aber auch generalisierte klonische Anfälle, mitunter atypische Absencen
•    häufig sind Verhaltensprobleme wie Aufmerksamkeitsdefizite, Hyperaktivität, Impulsivität und Ablenkbarkeit
•    verhältnismäßig günstige Prognose (Anfälle verschwinden mit der Adoleszenz, sprachliche Fähigkeiten erreichen aber nicht mehr das Entwicklungsstadium vor der Erkrankung)
•    
Panayiotopoulos-Syndrom (selbstlimitierende okzipitale Epilepsie des Kindesalters, Typ Panayiotopoulos)
•    Erstmanifestation zwischen 1 und 14 Jahren, meist aber zwischen dem 3. und 6. Lebensjahr
•    seltene, oft jedoch prolongierte fokale Anfälle mit autonomen Symptomen, Übergang in einen bilateral tonisch-klonischen Anfall möglich
•    gute Prognose, Anfallsfreiheit 1 bis 2 Jahre nach Beginn der epileptischen Anfälle, keine bleibenden neurokognitiven Defizite [22]
Epilepsiesyndrome bei Jugendlichen

Janz-Syndrom (juvenile myoklonische Epilepsie)   
•    Erstmanifestation vor allem im Jugend- und Adoleszentenalter zwischen dem 12. und 20. Lebensjahr
•    blitzartige, meist nur 1–1,5 Sekunden andauernde Zuckungen oder Stöße (bevorzugt der Armstrecker- und Schultermuskulatur), evtl. Absencen – vor allem nach dem Aufwachen
•    Prognose abhängig von therapeutischem Ansprechen (Absencen in der Anamnese scheinen eher mit ungünstiger Prognose einherzugehen) [23]

 

 

Quellangabe:  Gelbe Liste Team, Vidal MMI Germany GmbH
 

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